Klar, ein Reitlehrer ist dazu da, seinen Schülern das Reiten beizubringen. Vielleicht auch noch um nebenher ein wenig Theoriekenntnisse zu vermitteln. Möglicherweise den Umgang mit dem Pferd vereinfachen, Unterstützung bei Turnieren oder anderen Prüfungen geben und im Idealfall das Pferd und den Reiter über längere Zeit begleiten.
Denken wir jetzt aber nochmals genauer über die Aufgaben eines guten Reitlehrers nach, fallen viele kleinere Details auf, deren Wert für die gemeinsame Zusammenarbeit in meinen Augen sehr wichtig sind.
Zuallererst ist ein Reitlehrer auch immer ein Dolmetscher . Ein Übersetzer zwischen dem Reiter und seinem Pferd. Er erkennt feinste Nuancen der Unstimmigkeit und kann diese in Sekundenbruchteilen dem Reiter wiederum so darlegen, dass dieser die Chance hat, Dinge zu korrigieren. Dinge, die der Reitschüler vermutlich noch nicht selber bemerkt hat oder deren Korrektur ihm noch nicht so geläufig ist, als dass er sie schnellstmöglich von alleine hätte finden können. Eine kleine Taktunstimmigkeit, eine verdrehte Zügelfaust, ein Herausheben des Pferdes, eine unpassende Distanz, ein Abschweifen der Gedanken, eine Widersetzlichkeit. Wer schon einmal im Fernsehen oder Rundfunk zugehört hat, wie schnell Simultandolmetscher übersetzen können und vor allem den Sinn in einem Satz schon erfasst haben müssen, bevor er vom Sprecher wirklich zu Ende gesprochen wurde, wird verstehen können, welch hohe Kunst das Dolmetschen darstellt. Genauso ist es großartiges Geschenk, wenn man einen Reitlehrer hat, der diese Fähigkeit besitzt: Sekundenschnelles übersetzen von Dingen, die gerade erst im Entstehen sind. So kann man viele Probleme schon im Ansatz erkennen und beheben.
Auch ist ein Reitlehrer in gewissem Maße mit einem Gesundheitsmanager vergleichbar. Er sorgt dafür, dass weder Reiter noch Pferd mit Übungen überfordert werden. Gleichzeitig stellt er durch sein systematisch aufgebautes Training immer wieder neue Trainingsreize, sei es an die Beweglichkeit, die Geschicklichkeit, die Schnelligkeit oder die Kraftausdauer. Er erkennt es falls Probleme auftauchen. Wenn der Reiter nach einem stressigen Arbeitsalltag verspannt aufs Pferd steigt und heute einfach gar nichts gelingen will, stellt ein guter Reitlehrer das Training darauf ein und fordert nur Grundlagenarbeit in bunter Variation statt schwierige neue Aufgaben anzugehen. Ist das Pferd nach einem Infekt wieder im Aufbautraining, nimmt er auch darauf Rücksicht und fordert mehr den Geist als den Körper. Bei Problemen empfiehlt er Arzt, Physiotherapeut, Massagen, Akupunktur oder Weiteres, egal ob für Pferd oder Reiter.
Ein Reitlehrer ist immer auch ein Übermittler von Werten, Anschauungen und Erfahrungen. Je mehr er selber in seinem Reitleben gelernt hat und erfahren durfte, je mehr er auch mit verschiedenen Pferden in verschiedenen Disziplinen unterwegs ist oder war und je mehr unterschiedliche Lehrer er selber haben durfte, desto größer ist sein Wissensschatz, auf den er in seinem Unterricht zurückgreifen kann. Dieser Wissensschatz ist es, von dem seine Schüler profitieren. Indem er sie unterrichtet gibt er diese Kenntnisse weiter und übernimmt die dabei ausgelösten Effekte und Informationen wieder in seinen Erfahrungspool. Ganz nebenbei verfeinert er so diese Erlebnisse und verknüpft sie mit vorhandenem Wissen, um dies dann dem nächsten Schüler in noch besserer Form präsentieren zu können.
Diese enormen Erfahrungen lassen auch verstehen, weshalb ich der Meinung bin, dass ein Reitlehrer durchaus auch in gewissem Maße ein Lebenserklärer sein kann. Sie meinen, das ist eine ehrgeizige Aufgabe, die ich ihm da an die Hand gebe?
Ein Reitlehrer schult die Sinne sich selber wahrzunehmen (Spür mal rein in dich, gleichviel Druck auf beiden Zügeln?), den Partner Pferd wahrzunehmen (Wie ist er heute drauf? Spürst du wie er schwingt?), Mitreiter wahrzunehmen (Schau, der ist heute schlecht drauf, nimm besser eine andere Linie, sonst gibt es noch einen Zusammenstoß!) und die wahren Fragen hinter den Aufgabenstellungen zu sehen (Vielleicht ist es nicht deine Herausforderung immer höher zu springen, sondern lernen geduldig zu sein bis die Technik stimmt und die Kraft ausreichend ist?).
Deswegen nun die Aufforderung: Ist heute nicht ein perfekter Tag um “Danke” zu sagen? Danke für eine erfolgreiche Reitstunde, einem kleinen Tipp am Rande, eine Aufgabenstellung die besonders viel Spaß gemacht hat? Für die langjährige gemeinsame Zusammenarbeit, für das offene Ohr bei Problemen rund ums Pferd oder auch in anderen Bereichen?
Und wenn wir gerade schon am “Danke” sagen sind, denken wir auch an die Stallhelfer, die Tierärzte, die Hufschmiede und die Stallbesitzer, die Turnierorganisatoren, die Stallkollegen und die wichtigsten Lehrer: Unsere Pferde.
In diesem Sinne, vielen Dank ürs Lesen und bis bald!