Reitlehrer & Reitschüler

Wie aus Fehlern Helfer werden

Wer kennt es nicht aus der Schulzeit? Da hat man einen, in seinen Augen wundervollen Aufsatz geschrieben oder sich viel Mühe beim Gestalten eines Bildes im Kunstunterricht gegeben und dann kommt der Aufsatz mit vielen roten Anmerkungen zurück und als Bewertung für das Bild gab’s nur eine Drei. Da war die Enttäuschung groß. Aber wie ist das im Reitunterricht? Wird da nicht auch meistens nur kritisiert, was gerade eigentlich schiefläuft?

„Oh nein, schon wieder hast du vergessen die Ecke auszureiten!“ „Du musst aktiver an den Sprung heran reiten, so ist es kein Wunder, dass dein Pferd stehen bleibt.“ „Bein lang, mehr im Absatz federn, Hände geschlossen halten, Blick geradeaus und Schultern fallen lassen. Nicht so verspannt, entspann dich.“

Fehler über Fehler, alles rot angestrichen, kommentiert mit einer Note. Da kann einen schon mal der Frust packen und man hat keine Lust mehr auf anstrengenden Unterricht, sondern geht lieber beim nächsten Mal noch eine Runde ausreiten, da kritisiert wenigstens keiner ununterbrochen.

Es braucht einen Vermittler, der erklärt, wie aus Fehlern Helfer werden. Mit den Kindern ganz spielerisch, die Buchstaben auf Blätter schreiben und dann so lange rätseln lassen, bis sie draufkommen. Den Jugendlichen und Erwachsenen Reitschülern kann man es als kleine Merkhilfe im Gespräch ans Herz legen. Unserer Fehler sind Helfer, Helfer auf dem Weg zu einem besseren Reiter. Also wollen wir sie ab sofort nicht mehr als schlecht ansehen und uns nur noch bemühen sie auszumerzen, sondern als Hinweisgeber nehmen, an welchen Dingen wir noch dranbleiben müssen, was es noch zu verbessern gibt.

Keine leichte Aufgabe die ein/e Reitlehrer/in da hat: Im Anfängerunterricht besteht eigentlich jeder kleine Schritt aus sehr viel Lob, recht schnell stehen dann aber auch die ersten kleinen Korrekturen an, so dass sich keine falschen Bewegungsmuster einschleichen. Wichtig ist hierbei die Verbesserung sofort zu bemerken und auch direkt zu kommentieren. Auch kleine Rückfragen können sich anschließen. Jedoch sind wir noch weit entfernt davon, dass der Reitschüler aus einer „negativen Formulierung“ selbst eine Umwandlung in eine „positive Handlungsanweisung“ herbeiführen kann.

„Hörst du wie laut es ist, wenn du beim leichttraben wieder in den Sattel sitzt? Schaffst du das leiser, so dass es angenehmer für dein Pferd ist?“ Das Lob muss sofort erfolgen, sobald der Bewegungsablauf erkennbar besser wird und es kann sich eine Rückfrage anschließen: „Konntest du es auch hören? Jetzt war es viel angenehmer für dein Pferd“. Zusätzlich zur reinen Fehlerübermittlung erfolgt bei dieser Art der Korrektur auch noch die Weitergabe von weiteren Infos. In diesem Fall zum Beispiel die Information, warum es so wichtig ist, dass man sanft in den Sattel einsitzt beim leichttraben.

Die nächste Stufe kann man erklimmen, wenn die Reitschüler nicht mehr ihre komplette Konzentration für die Balance und sich selber benötigen. Eine Möglichkeit ist es für ein paar Minuten aufzufordern, dass die gesamte Gruppe bei jeder Korrektur an einen Einzelnen überprüft, ob diese Korrektur in diesem Moment auch eine Korrektur für sie selber sein könnte.

„Luisa, du musst deine Hände mehr geschlossen halten, so dass dein Pferd dir nicht den Zügel aus der Hand nehmen kann. Achte aber darauf, sie nicht zu verkrampfen“ Jetzt ist es Aufgabe aller Schüler bei sich selber zu kontrollieren, ob ihre Handhaltung dem entspricht, was gefordert ist. Zu Beginn dieser Übung ist es wichtig sie anzukündigen und auch aktiv wieder zu beenden. Die Zeitspanne sollte kurz gewählt werden und kann dann immer mehr ausgeweitet werden, bis sie die gesamte Reitstunde umfasst Dann reicht ab und zu eine kurze Erinnerung aus, um alle wieder darauf zu sensibilisieren. Auch hierbei ist es wichtig die gesamte Gruppe im Blick zu behalten und dementsprechend zu loben, wenn die Korrektur auch von einem Reitschüler umgesetzt wird, der im Moment nicht aktiv angesprochen wurde. Und dieser verdient ein besonders großes Lob. „Miriam, sehr gut! Du hast eben selbständig korrigiert, dass du auf dem falschen Fuß leichtgetrabt bist. Ich finde es bemerkenswert, dass du die Anweisung an Tom mitbekommen hast und dich selber kontrolliert und verbessert hast.“ So führen wir die Reiter hin zu einem Verständnis, wie sie aus Anweisungen, die im ersten Moment nicht direkt sagen, was zu tun ist (Anweisung war ja „Tom du trabst auf dem falschen Fuß leicht, du musst umsitzen“), selbständig in die Aktion kommen können (Ich kontrolliere, stelle fest es ist auch bei mir so und korrigiere). So kann ein „Fehler“ des einen zu einem „Helfer“ für den anderen werden.

Eine wichtige Sache ist in diesem Zusammenhang noch zu nennen, vermutlich kennen es alle aus der Schulzeit. Es gab immer diesen einen, der alles im Diktat rot hatte. Oder die eine, die nur mit 5en aus dem Sportunterricht ging. Ebenso wie es auch den Bücherwurm und die Streberin gab. So etwas möchten wir natürlich absolut vermeiden. Ebenso ist zu unterbinden, dass Schüler in bestimmte Schubladen gesteckt werden und manche ständig ein Lob einheimsen und andere zurückbleiben. Es gibt so viele Dinge, die neben dem reinen Reitunterricht geschehen und die es absolut wert sind gesehen zu werden. Warum die Späteinsteigerin nicht auch mal dafür loben, dass sie sich eines unsicheren Kindes angenommen hat und ihm die Sache mit dem Hufe auskratzen nochmal erklärt hat? Oder den Vater, der unbedingt im Sommerurlaub mit seiner Tochter ausreiten gehen möchte, nochmal extra bestätigen, dass er inzwischen sehr gut über die richtigen Haltungsbedingungen von Pferden Bescheid weiß. Vielleicht sollte er statt dem 5-Stunden-Strand-Ritt lieber dieses Jahr nur den kurzen Strand-Schritt-Ausritt mitmachen, aber man kann sich sicher sein, dass er auf jeden Fall ganz genau auswählt, welchen Reitstall sie im Urlaub unterstützen, wenn sie dort Ferien machen.

Ein weiterer Punkt zu einer guten Fehlerkultur ist es, Gespräche unter den Reitern (und auch den Zuschauern und Begleitpersonen) anzuregen und ggf. unterstützend zu lenken. Wann immer ein Austausch über verschiedene Dinge möglich ist und am besten mit den verschiedensten Gesprächspartnern mit unterschiedlichen Vorkenntnissen, desto eher kommt man auch auf Lösungen, sollten sich Schwierigkeiten auftun. Kein Wunder sind auch die Stammtische und nettes Beisammensein bei uns Reitern so beliebt. In ungezwungener Runde ein wenig über den Stallalltag plappern und dabei neue Ideen spinnen und Anregungen sammeln.

Aber zurück zu unserem inzwischen schon fortgeschrittenen Reiter. Irgendwann kommt der Punkt an dem Fehler nun auch wirklich offensichtlich und kurz als Fehler angesprochen werden. Manch einer wird sich über den knappen und für Außenstehende oft ruppig anzuhörenden Ton in der Reitbahn wundern. Es gibt ein paar Dinge, die man trotz allen Lobens und Erklärens nicht vergessen darf: Manchmal braucht es knappe kurze Ansagen, um in der Geschwindigkeit des Reitens keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen, was im Moment gemeint ist. „Bein lang“ ist eine Aussage, die ohne jeglichen Zweifel klar zu interpretieren ist (Vorausgesetzt man hat in der Vergangenheit durch Erklärungen gelernt, was hinter diesen Worten steckt). Natürlich könnte der Reitlehrer stattdessen auch sagen: „Du solltest dein Knie leicht öffnen, die Bewegung mehr in deinen Absatz durchlassen, geschmeidig federnd, damit sich deine Wade besser ans Pferd anschmiegen kann und du somit sanft aber nachhaltig zum treiben kommst“. Bis dieser Bandwurmsatz ausgesprochen ist, ist das Pferd eine Runde weiter durch die Reitbahn galoppiert, es sind weitere Probleme hinzugekommen und es ist noch nicht sichergestellt, dass der Satz dann auch im kompletten vom Reitschüler verstanden wurde. Klar muss man diesen Zwischenschritt über die ausführlichen Erläuterungen gehen, aber wenn diese noch notwendig sind ist es sinnvoller den Reitschüler direkt zu sich zu holen, als ihn weiter durch die Bahn reiten zu lassen.

Weiterhin ist Reiten natürlich auch eine Sportart die ein hohes Maß an Konzentration von Reiter und Pferd fordert. Je kürzer die Anweisungen, desto leichter fällt es beiden sie umzusetzen. Wie hängt das ganze nun aber mit dem Titel „Vom Fehler zum Helfer“ zusammen?

Nun ist der Reiter bereit sich Gedanken über Vergangenheit und Zukunft zu machen. Als Beispiel können wir das Protokoll einer Dressurprüfung nutzen, oder das Feedback des Trainers am Ende der Reitstunde. Lesen wir das Protokoll nicht nur durch, sondern stellen wir uns folgende Fragen

  1. Aus dem und dem Fehler kann ich folgendes für die Zukunft lernen
  2. Aus dem und dem Helfer kann ich folgendes für die Zukunft lernen

„Pferd zeigt heute wenig Losgelassenheit“. Aufgabe muss nun sein zu analysieren, ob es der Tagesform des Pferdes, des Reiters, der Turnieratmosphäre, des Wetters, der bunten Blumen, der rossigen Stute auf dem Abreiteplatz, dem schlecht angepassten Sattel oder etwas ganz anderem geschuldet ist, dass dieser Satz so vermerkt wurde.

Nun die wichtigste Aufgabe, nämlich die Umwandlung in einen Helfer: Was kann ich dafür tun, dass die Tagesform des Pferdes beim nächsten Mal besser ist? Was kann ich tun, dass ich selber nicht so angespannt bin? Wie können wir die Turniersituation üben? Das Wetter ist nicht beeinflussbar, das nächste Mal bei so viel Wind und der rossigen Stute lieber nicht starten, oder vielleicht das Abreiten entspannter gestalten, mehr Abstand halten und kurz vor der Prüfung noch fünf Minuten absitzen? Sattel kontrollieren lassen!

So wird aus einem Fehler ein Helfer um es beim nächsten Mal besser zu machen oder vielleicht sogar schon Lösungen zu finden, die beim nächsten Mal dazu führen, dass Fehler überhaupt nicht passieren müssen. Als Beispiel – „Mehr Ruhe beim Abreiten und mehr Abstand zu den anderen Pferden“ – kann dazu führen, dass wir das Abreiten bewusster gestalten, unser Pferd mehr über die äußeren Hilfen begrenzen, konzentrierter bei uns bleiben im Gewusel auf dem Abreiteplatz und dadurch beim nächsten Mal eine konzentriertere Vorstellung abliefern bei der der das Pferd aufmerksamer auf den Reiter ist und sich besser von den Hilfen einschließen lässt.

Fehler sind Helfer die uns zeigen, dass etwas noch nicht richtig läuft und wir daran noch weiter üben müssen. Nur wer sich seinen Fehlern stellt kann etwas ändern und sich so verbessern. Wer erst gar keine Fehler machen will, der darf überhaupt nichts machen. Nichts zu machen ist jedoch ein falscher Weg der uns nicht weiter führt und auch niemals dahin bringen wird, wo wir zufrieden mit dem sein können, was wir erreicht haben.